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Wir bauen: Ruit

16.01.2023

Interview: Wohlfühlen in einem hochfunktionalen Haus

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Interview mit Archtitekt Udo Lemke von der Lemke Fukenrider Architekten GmbH

Ihr Büro hat sich auf Kliniken spezialisiert – was ist das Besondere daran?
Krankenhäuser sind komplexe Gebäude, fast wie eine kleine Stadt: mit Eingangsbereich, mit Magistralen, mit Treffpunkten auf den Stationen. Man muss sich in medizinische Prozesse hineindenken, muss wissen, wie eine OP-Abteilung funktioniert und überlegen, wo ein Patient behandelt und gepflegt wird. Wir brauchen kurze Wege zum Patienten und kurze Wege für den Patienten. Man muss also einerseits ans Patientenwohl denken und andererseits die optimalen Abläufe im Blick haben. Und schließlich muss man wissen, was förderfähig ist, also wofür das Land Zuschüsse zahlen wird.

Wie viele Krankenhäuser hat Ihr Büro schon geplant?
Unser Einstieg ins Gesundheitswesen war 1965 mit dem Bau des Olympia-Krankenhauses in München-Neuperlach. Seither haben wir einige Dutzende Kliniken geplant. Unser Büro beschäftigt mittlerweile etwa 40 Kolleginnen und Kollegen. Wir sind bundesweit tätig und haben als zweiten Schwerpunkt Forschung und Lehre, beispielsweise für die Fraunhofer-Gesellschaft.

Wie viele Planer sind am Projekt Ostfildern-Ruit beteiligt?
Für so ein komplexes Projekt braucht man ein relativ großes Team; nicht nur die Tragwerks- und Haustechnikplaner, sondern Spezialisten für die Betriebsorganisation und Medizintechnik. Von uns sind im Kernteam sechs bis acht Architekten beteiligt, zwei Spezialisten für die Vergabe und ein bis zwei Leute als Bauleitung vor Ort. Die Fachplaner für Medizin- und Haustechnik holt der Bauherr dazu.

In Ostfildern-Ruit handelt es sich um einen Teil-Neubau. Wie stark schränkt Sie die Integration neuer Bauteile in ein vorhandenes Betriebsgebäude ein?
Wir schauen zuerst, welche Gebäude von Funktion und Substanz her gut sind. In Ruit sind die Eingangshalle, das Gesundheitszentrum und der Hubschrauberlandeplatz recht neu. Und der Funktionstrakt bietet in großen Teilen als Skelettbau gute Voraussetzungen, um neu strukturiert zu werden. In einer Machbarkeitsstudie haben wir dann gezeigt, wie man diese Teile integrieren kann. Was sich in Ruit schnell ergab:
Die alten Bettenhäuser A und B sind schwer zu ändern, weil die Schottenbauweise durch viele tragende Elemente gekennzeichnet ist. Die Zimmer und der Sanitärstandard sind aber nicht mehr zeitgemäß. Von dieser Studie ausgehend verfeinert man die Planung immer mehr. Man denkt immer auch in Varianten und bezieht ständig den Auftraggeber mit ein. Für uns war es eine reizvolle Aufgabe, ein vielschichtiges Gebäude neu zu strukturieren und einen Mehrwert zu schaffen.

Funktionalität hat bei einem Krankenhaus absolute Priorität. Wie viel Spielraum haben Sie noch für Gestaltung und Ästhetik?
Ich möchte das so formulieren: Wir lösen zunächst die funktionale Aufgabe und bringen das dann in eine Form mit ansprechendem Äußeren. Der Patient will keine Technik wahrnehmen, sondern sich wohlfühlen. Wenn er das Krankenhaus wie eine Art Hotel empfindet, dann haben wir vieles richtig gemacht. Ruit bietet dafür eine gute Grundlage, es ist ein wunderschöner Standort, mit Wald, Ausblick, Patientengarten. Wir arbeiten mit Materialien und Farben, die naturnah sind oder so wirken. Beispiel Verschattungselemente: Die können aus Gründen des Unterhalts nicht hölzern sein, aber sie sollen an Holz erinnern. Einen gewissen Kontrast dazu setzt die deutliche Signaletik, die den Patienten klar durch das Gebäude führt. Sie muss sich von den naturnahen Farben absetzen.

Der Bettenbau fällt durch die halbrunde Form auf. Welchen Vorteil hat diese Rundung? 
Das Halbrund schafft eine wiedererkennbare Form, sie umspielt einen Grünraum, den Patientengarten. Durch die zwei Seitenflügel des Halbrunds hat man aus jedem Patientenzimmer einen Ausblick. Funktional nimmt das Halbrund zwei Stationen auf einer Ebene auf. So sind dienende Räume von beiden Stationen nutzbar. Dort, wo die Rundung in die Flanken übergeht, liegen die Stützpunkte der Stationen. Sie sind zentral positioniert und verkürzen die Wege. Wir bleiben in Ruit bei zwei Obergeschossen – eine angenehme Höhe, die dem Ort gerecht wird.

Der neue OP-Trakt wird zwischen zwei Bestandsgebäude gesetzt. Wie gehen Sie dabei vor und wie planen Sie künftige Entwicklungen der Medizintechnik ein?
Der neue Verbindungsbau mit den neuen OP-Sälen verknüpft den bisherigen OP-Bereich und die Intensivpflege miteinander. Eine praktische und elegante Lösung, finde ich. Aber wie sich medizinisches Wissen und Technik weiterentwickeln, können wir nicht vorhersehen. Deshalb müssen wir so robust und flexibel bauen, dass man später etwas einfügen kann. Das Skelett-Tragwerk mit wenigen tragenden Elementen lässt diesen Spielraum. Und in den abgehängten Decken sind nachträglich Installationen möglich, ebenso in den vertikalen Schächten und in den Technikzentralen.

Eine besondere Herausforderung ist der Bau des Bettentrakts, der wie eine Brücke über die bestehende Strahlentherapie gesetzt wird. Worauf müssen Sie besonders achten? 
Zunächst wird das Tragwerk so angelegt, dass es unabhängig vom Bestandsbau Strahlentherapie sitzt. Während der Bauphase überwachen wir mit einem Erschütterungsmonitoring, dass die Grenzwerte für die Baumaschinen eingehalten werden. Und schwerwiegende Eingriffe, etwa während des Abbruchs des alten Bettenbaus, finden in bestimmten Zeitfenstern statt. Damit sichern wir, dass während einer Behandlung keine Probleme auftreten.

Um wie viel verteuert diese Brückenkonstruktion das Projekt?
Na ja, das ist eine Abwägungssache: Diese Konstruktion erlaubt uns, vorhandene Gebäudesubstanz zu erhalten. Das rechnet sich und ist nachhaltig.

Planung und Bau eines Krankenhauses dauern etwas länger als bei einem Einfamilien-Häusle. Wie kriegt man da die Kostenentwicklung in Griff?
Die ersten Überlegungen haben 2016 begonnen. Es folgten zahlreiche Optimierungen in Abstimmung mit den Nutzern und den Fördergebern. Zwischenzeitlich wurde ein Modulbau an das Gesundheitszentrum angefügt, um interimsweise die Patienten aus dem Bettenhaus A, das abgebrochen wird, unterzubringen. Dieser große Vorlauf ist nötig, weil eine sorgfältige Planung eine sorgfältige Ausschreibung ermöglicht. Die Bauzeit selbst wollen wir sehr straff halten: Im Sommer 2022 haben wir richtig losgelegt, im Sommer 2024 soll der Bettenbau fertig sein. Also in zwei Jahren. Den Markt und die steigenden Materialpreise können wir nicht beeinflussen, aber die kurze Zeitspanne grenzt die Unsicherheit ein. Eine laufende Kostenkontrolle gehört selbstverständlich dazu.

Außer Ihnen gibt es noch weitere Experten für den Klinikbau: Ärzte und Pflegepersonal. Wie binden Sie die ein?
Die sind vom ersten Schritt an eingebunden worden. Jede Abteilung verfolgt ihre eigene Strategie. Diese legt den Kurs fest. Dann fragen wir die Ausstattung der Räume und die Anforderungen an das Material ab, später geht es um Farben und Haptik. Die Klinikvertreter geben unsere Fragen an ihre Abteilungen weiter. Das ist ein ständiger Austausch, der Sorgfalt braucht. Das ist in den medius KLINIKEN sehr gut organisiert.

Klimaschutz ist heute bei jedem Bauprojekt ein Thema. Was tun Sie in Ostfildern-Ruit dafür?
Wir versuchen, die Gebäude möglichst einfach zu bauen, so dass wir wenig Technik und Energie brauchen. Um zum Beispiel die sommerliche Wärme draußen zu halten, sehen wir außen liegenden Sonnenschutz und hochwertige Verglasung vor. Kombiniert wird das in den Patientenbereichen mit thermoaktiven Betondecken, also mit einem integrierten temperaturregulierenden Rohrsystem. Eine Klinik hat aber viele Räume, die mechanisch belüftet werden müssen, beispielsweise die OP-Säle. Hier wollen wir mit moderner Technik die Wärme zurückgewinnen. Wir nutzen die Erweiterungs- und Umbaumaßnahmen, um das Krankenhaus mit energiesparender, hocheffizienter technischer Ausrüstung zu versehen.

Welche Auswirkungen werden die Patientinnen und Patienten während der Bauzeit wahrnehmen?
Bauen ohne Lärm und Staub geht nicht. Wir werden aber die Baubereiche möglichst gut von den anderen Räumen abschirmen. Und vor allem wollen wir die Bauzeit straff halten, damit diese Phase schnell überwunden ist.

Der Betrieb des Ruiter Krankenhauses läuft uneingeschränkt weiter. Die Anfahrt ist während der Bauphase uneingeschränkt möglich. Parkmöglichkeiten stehen zur Verfügung.

Kleines Architektur-Glossar
Magistrale = Hauptverkehrslinie
Schottenbauweise = Tragende Wände sind quer angeordnet
Signaletik = Bildsprache zur Orientierung
Skelett-Tragwerk = Das tragende Skelett bestimmt die Form des Baukörpers

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